Ein Wirbelwind namens Lilly
  21.09.2021 •     WLV , Top-News WLV , BW-Leichtathletik


Lilly Kaden aus Winterbach ist eines der größten Sprinttalente Deutschlands. Nach einem Reitunfall ist die Doppel-Junioren-Europameisterin ein Versprechen für die Zukunft. Kaden ist ein Kind der Kinderleichtathletik, die ihre Wurzeln in Württemberg hat.

Lilly Kaden ist nur 1,58 Meter groß, auf der Kunststoffbahn aber ein richtiger Wirbelwind, ein Energiebündel. „Willkommen zurück unsere Doppel-Europameisterin“, prangerte auf dem Plakat, mit sie nach den U23-Euopameisterschaften in Tallin auf dem Frankfurter Flughafen von ihren Vereinskameraden der LG Olympia Dortmund empfangen wurde. Mit zwei Goldmedaillen über 100 Meter und in der 4x100 Meter-Staffel war sie erfolgreichste Teilnehmerin der Titelkämpfe in Estland. Mit 11,28 Sek war die Juniorin ins Rampenlicht gesprintet und auf  Platz acht unter den schnellsten deutschen Sprinterinnen direkt hinter Burghardt, Pinto & Co. gelandet.     

Frühstück an einem Sommermorgen auf dem Winterbacher Marktplatz im beschaulichen Remstal. Beim dortigen VfL hat Lilly Kaden ihre sportlichen Wurzeln. „Eigentlich war ich anfangs gar kein Sprinttalent, habe einfach querbeet Leichtathletik betrieben“, sagt sie. Kaden redet fast so schnell wie sie sprintet. Den schwäbischen Dialekt hat sie in ihrer Wahlheimat Dortmund schon abgelegt. Geblieben ist die Liebe zu schwäbischen Brezeln.

Erst mit 15 hat sie das Sprinten entdeckt, wurde dann von Sven Rees, Bundesstützpunktleiter am OSP Stuttgart, gezielt gefördert. Davor war sie im Rems-Murr-Kreis beim VfL Winterbach unter Inge Rieger in der Kinderleichtathletik aktiv. Mit sechs kam sie in die Kinderliga, mit 14 erkannte man im Grundlagentraining ihre Schnelligkeitsfähigkeiten. Nach dem Abitur packte die 18-Jährige ihre Sachen und ging nach Gelsenkirchen zum Studium für Journalismus und PR. Bei den deutschen U20 Meisterschaften 2020 in Heilbronn machte sie im Trikot von Schalke 04 mit einer europäischen Jahresbestzeit von 11,32 Sek. erstmals richtig auf sich aufmerksam. Die finanzielle Schieflage bei den Fußballern von Schalke 04 mit einem Investitionsstopp tangierte auch die Leichtathleten: zeitweilig wurden keine Startgelder mehr bezahlt, Kadens Trainingsgruppe löste sich auf.

Der Wechsel zur LG Olympia Dortmund, einem Verein mit großer Sprint-Tradition (u.a. Olympiasiegerin Annegret Richter) lag nahe. Vielleicht das Erfolgsgeheimnis von Lilly Kaden: sie hat mit Thomas Kremer und Thomas Czarnetzki zwei kompetente Trainer. Kremer ist für die Langsprints und Tempoläufe zuständig, Czernetzki für Schnelligkeit und Technik.

Im Oktober folgte zuhause in Winterbach ein einschneidendes Ereignis: Kaden frönte ihrem anderen Hobby, dem Reiten. Als ihr schreckhaftes Pferd durchging, sprang sie aus gut 1,70 Meter ab – und zog sich eine Absplitterung am Ellbogen zu. Die Folgen von zwei Operationen waren elf Wochen Trainingspause und ein kompletter Neuaufbau für 2021. „Lilly hat eine sehr gute Einstellung zum Training, deshalb schaffte sie danach den Anschluss“, sagt Thomas Kremer, der mit 400 Meter-Europameister Ingo Schulz und Sprinterin Sina Schielke bereits erfolgreiche Athleten betreute. Kaden musste Anfang 2021 noch vier Weisheitszähne ziehen lassen.

Und trotz dieser Handicaps ist sie zuletzt richtig durchgestartet. „Der Reiz am Sprint ist einfach die Geschwindigkeit“, sagt Kaden, „je schneller, desto besser“. Am Start muss sie sich noch verbessern,  das weiß sie selber. Bei ihrem Lauf zum EM-Titel sei sie „wie im Flow in einem Tunnel gelaufen“. Da lief der Körper mit ihr, nicht umgekehrt. In Tallin hat sie nicht nur der Einzeltitel begeistert, auch Staffelgold sei enorm wichtig gewesen.

Bei der Siegehrung habe sie geweint. Eigentlich wollte sie mitsingen, sie brachte jedoch keinen Ton heraus, wie sie erzählt. Ein Traum sei für sie da in Erfüllung gegangen. Ihrer Stärken? „Ich bin superehrgeizig“. Die Schwächen? „Ich bin schnell frustriert“. Von den Pferden will sie vorerst wegbleiben.

Die Ziele der hoffnungsvollen Jungsprinterin: die Deutschen Meisterschaften im kommenden Jahr in Kassel. „Es geht nicht immer bergauf“, ist sie realistisch, man müsse den Ball flach halten. Die EM München 2022 hat sie (noch) nicht auf der Rechnung. „Aber Paris 2024 wäre nicht schlecht“, wagt sie einen vorsichtigen Gedanken. Sie freut sich auf ihren Saisonabschluss beim ISTAF in Berlin (12. September). Im Vorjahr war sie dort fast unbemerkt bereits schnellste Deutsche.

Lilly Kaden schultert ihren Rucksack, schlendert an den Marktständen vorbei, und setzt sich kurz auf den Marktbrunnen. Dann wartet die Winterbacher Kunststoffbahn, wo sie ihre ersten Wettkämpfe bestritten hat, auf die größte deutsche Sprinthoffnung.


Ein Wirbelwind namens Lilly